Lebendig gefressen (1980)

Ich bin ja bekanntlich kein Kostverächter und als Italo-Freak gewillt, mir alles reinzuzerren, was der Kintopp vom Stiefel zu bieten hat, doch mit dem Kannibalenfilm werde ich nicht immer wirklich warm. Das liegt wohl vor allem an der Nähe zum Mondofilm, diesem Anspruch dieses speziellen Subgenre, etwas näher an der Realität dran sein zu wollen, was zugleich genauso reizvoll wie abstoßend sein kann.

Kannibalen mit schlechter Nachbarschaft

Die New Yorkerin Sheila (Janet Agren) sucht mit Abenteurer Mark (Robert Kerman) im Dschungel von Neu Guinea nach ihrer Schwester Diana (Paola Senatore), die sich dort der Sekte von Jonas (Ivan Rassimov) angeschlossen hat. Doch dort lauert auch ein Stamm von Kannibalen…

Nachdem Umberto Lenzi mit VON CORLEONE NACH BROOKLYN einen Abgesang auf den Poliziesco und seinen Star Maurizio Merli gefeiert und von diesem Subgenre verabschiedet hatte, schien ihm irgendwas quer im Magen zu liegen. Anders lässt es sich kaum erklären, dass er in kurzer Folge gleich drei brutale Reißer auf die Menschheit losließ, die keine allzu nette Weltsicht offenbarten. LEBENDIG GEFRESSEN war der erste dieser Filme, und er ist erstaunlich schludrig inszeniert und montiert. Gerade die in New York gedrehten Szenen offenbaren viele Zooms und hakelige Schnittfolgen. Auch die Rolle des Professors, mit Mel Ferrer prominent besetzt, wirkt nur als Ausrede dafür, die Protagonisten bloß schnell in den Dschungel schicken zu können. Sowieso bereitet das erste Drittel des Films im Big Apple eh nur den Boden für das blutrünstige Abenteuer, das da noch folgen soll.

In Neu-Guinea angekommen, müssen Sheila und Mark erst einmal den Gefahren des immergrünen Urwalds trotzen, bevor sie im Dorf des Egomanen Jonas endlich auf die verlorene Schwester treffen. Und hier beginnt natürlich erst der unappetitliche Teil des Films. Bei der Sekte dürfen wir einer Kastration mit anschließender Enthauptung beiwohnen. Außerdem macht sich Jonas seine Jünger mit Drogen und sexueller Gewalt gefügig, sortiert auch mal konkurrierende Alpha-Männchen aus. Denn praktischerweise sind die direkten Nachbarn ein Stamm Kannibalen, dem die weißen Eindringlinge eh ein Dorn im Auge sind. Wohin der Weg dann führt, als schließlich doch die Flucht aus den Fängen der Sekte gelingt, bedarf wohl kaum weiterer Ausführungen.

Allgemein muss ich zugeben, dass mir der ganze Sektenkrams, den sich Lenzi brandaktuell beim Jonestown Massaker entliehen hat, ganz gut gefällt. Das liegt auch daran, dass Rassimov seinen Sektenführer überzeugend, und nicht als Karikatur, gibt. Das Gesplattere und Eingeweide-Gemansche fällt hier gnädigerweise noch recht kurz aus, bei den Kannibalen geht es auch mehr darum, die Opfer zu essen und nicht zu erniedrigen (das folgt dann in DIE RACHE DER KANNIBALEN). Dafür ließ es sich Lenzi nicht nehmen, LEBENDIG GEFRESSEN eine gehörige Portion Rassismus zu verpassen. Als Mark und Sheila etwa mit ihren einheimischen Führern über einen Fluß rudern, taucht ein Krokodil auf und frisst einen der Führer. Mark kommentiert darauf lapidar, dass er leider nur eine Flasche Whiskey retten konnte, als das Boot darauf fast kenterte. Schönen Dank auch.

Die Menschenfresser selbst sind hier nur Beiwerk, die wohnen halt in der Nachbarschaft, was Jonas gerne zum Anlass nimmt, mit Verbannung zu drohen, was mit einem Todesurteil gleichzusetzen ist. Denn die wilden Eingeborenen schmeißen alles auf den Grill, was ihnen vor den Speer läuft. Das wäre an sich ganz schön widerlich, wäre nicht der aus der Zivilisation stammende Jonas eben nicht die noch größere Bestie. LEBENDIG GEFRESSEN ist für mich deshalb eine eher zwiespältige Angelegenheit, denn den Teil mit der Sekte mag ich, und auch die Kannibalen-Szenen halten sich noch halbwegs in Grenzen, auch wenn Lenzi hier schon ziemlich auf die Kacke haut. Dafür hält er sich in Sachen Tiersnuff sehr zurück.

Im Kino und auf Video erheblich geschnitten, landete der Film schon 1982 auf dem Index und wurde 1986 das erste Mal beschlagnahmt (1989 sogar mit Einziehungsbeschluss). Dieses Schicksal ereilte noch so einige Versionen des Films aus dem In- und Ausland, den Kannibalenfilm hatten die deutschen Sittenwächter ganz besonders auf dem Kieker. An eine Rehabilitation von LEBENDIG GEFRESSEN ist wohl auch nicht so schnell zu denken.

Author: Thomas Hortian

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